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Hinter jedem Augenblick findet sich etwas, das ich weiß, und etwas, das ich nicht weiß.
Prinzessin Irulan:
Gesammelte Weisheiten des Muad'dib
Bei IV Delta Kaising, der nächsten Zwischenstation des Heighliners, wurden zahlreiche kleine Schiffe ausgeschleust – Fähren, Frachter und Militärfregatten. Es war ein routinemäßiger Halt, ganz gewöhnliche Gildengeschäfte.
Jessica hatte das Gefühl, wegen der Verzögerung der Rückreise nach Caladan verrückt zu werden. Sie verließ erneut ihr Gemach und schaute durch das Aussichtsfenster eines Gemeinschaftsraums auf den Planeten hinab. Wie so oft brütete sie über die schrecklichen Verluste im Djihad, der kein Ende zu nehmen schien. Sie war erzürnt und voller Trauer über die Berichte von anhaltenden Verbrechen ... und ihr Herz war bleiern von der entsetzlichen Entscheidung, die sie getroffen hatte. Aber für sie es gab keine Zweifel an dem, was sie tun musste.
IV Delta Kaising war der Planet, auf dem die Ranken für den rasiermesserscharfen, metallischen Shigadraht wuchsen, eine einträgliche Nutzpflanze, die auf zahlreiche Welten exportiert wurde. Shigadraht wurde als Ausgangsmaterial für Aufzeichnungen verwendet und hatte die interessante Eigenschaft, sich unter Krafteinwirkung zusammenzuziehen, was ihn ideal dafür machte, widerspenstige Gefangene sicherzustellen – mit grausamen und oftmals tödlichen Fesseln. Aufgrund des fortdauernden Djihads boomte der Markt für die Ranken.
Ein langer Krieg ... Jessica kam es vor, als sei es Jahrhunderte her, seit der junge Paul mit Bronso Vernius davongelaufen war, begierig darauf, die Welten des Imperiums zu besuchen, exotische Planeten und Kulturen zu bereisen. Damals war er so aufgeregt gewesen, voller Erstaunen und Neugier ...
Jessica bemerkte den sich nähernden Wayku-Bediensteten erst, als der schlanke Mann mit dem dunklen Spitzbart an sie herantrat. Er war dienstbeflissen, aber reserviert, eine Hand hinter dem Rücken. »Sie sind Lady Jessica von Caladan.« Der Tonfall seiner Worte klang nicht nach einer Frage. Die dunkle Brille des Flugbegleiters war uncharakteristischerweise auf die Stirn hochgeschoben, so dass er sie direkt aus seinen eindringlichen, blassblauen Augen anschauen konnte. »Ich habe in der Passagierliste nachgesehen.«
Wayku-Flugbegleiter initiierten nur selten den Kontakt zu Passagieren, und Jessica war sofort misstrauisch. Sie zögerte. Dann sagte sie: »Ich bin auf dem Weg nach Hause.«
Der Mann holte einen versiegelten Zylinder hinter dem Rücken hervor und überreichte ihn ihr. »Bronso Vernius von Ix bat mich darum, Ihnen diese wichtige Nachricht zu übergeben.«
Sie hätte nicht verblüffter sein können. Soeben hatte sie an der Mütterschule Tessia getroffen, aber von dem jungen Bronso hatte sie seit Jahren nichts gehört. Obwohl er der offizielle Herr von Ix war, hatte er nach Rhomburs Tod jeden Kontakt zum Haus Atreides abgebrochen.
»Wer sind Sie? In welcher Verbindung stehen Sie zu Ix?«
Der Wayku wollte bereits gehen. »Ich stehe in keinerlei Verbindung zu Ix, Mylady. Nur zu Bronso. Ich bin Ennzyn, und ich kenne sowohl ihn als auch Ihren Sohn von früher, als beide sehr viel jünger waren. Ich habe sogar Ihren Männern geholfen, Bronso und Paul zu finden, als die beiden ... vermisst wurden. Ich habe sie nie vergessen, und Bronso hat mich nicht vergessen.«
Er stahl sich davon, bevor sie weitere Fragen stellen konnte. Jessica blickte auf die geheimnisvolle Nachricht, brach das Siegel mit einem Fingernagel und entrollte ein Blatt Kristallpapier, das vom purpur- und kupferfarbenen Helixsymbol der Familie Vernius geziert wurde.
Meine hochgeschätzte Lady Jessica,
obwohl ich dem Haus Atreides aus Gründen, die für uns beide schmerzhaft sind, den Rücken zugekehrt habe, berufe ich mich nun auf das einstmals enge Band zwischen unseren beiden Großen Häusern. Ich weiß, dass Sie gerade auf Wallach IX waren, und ich warte begierig auf Neuigkeiten – die Wahrheit! – über meine Mutter. Ich wäre Ihnen zutiefst verbunden, wenn Sie auf dem Heimweg nach Caladan einen Zwischenhalt auf Ix einlegen und mich besuchen würden.
Ich wohne noch immer im Großen Palais, obwohl man mich praktisch aller Macht beraubt hat. Der Rat der Technokraten hat mir jeden wirklichen Einfluss genommen und herrscht jetzt über unsere Gesellschaft. Außerdem muss ich sehr dringend mit Ihnen über Paul reden.
Mit allem erdenklichen Respekt und voller Bewunderung,
Bronso Vernius
Jessica rollte den Brief fest zusammen, steckte ihn zurück in den Zylinder und marschierte durch den Korridor davon, um alles für ihren Aufbruch nach Ix vorzubereiten. Der Planet war drei Zwischenstationen entfernt.
Als sie die unterirdische Stadt Vernii erreichte, fielen Jessica zahlreiche Veränderungen auf, seit sie vor etwa einem Dutzend Jahren das letzte Mal hier gewesen war. Es gab Anzeichen großen Wohlstands, darunter zahlreiche neue Gebäude, erweiterte Industrieanlagen und massenhaft Menschen unterschiedlichster Herkunft, die in teuren Kleidern geschäftig umhereilten. Das auf dem Kopf stehende Stadtpanorama aus Stalaktiten-Gebäuden war komplexer geworden. Die zahlreichen neuen Verwaltungsgebäude machten eher einen auf Praktikabilität als auf Schönheit ausgerichteten Eindruck.
Im Innern des Großen Palais wurde Jessica von einem Mann mit kupferfarbenem Haar begrüßt, den sie sofort wiedererkannte. Bronso wirkte verhärmt und erschöpft, er hatte Ringe unter den Augen, und Müdigkeit hatte tiefe Falten in seine Züge gegraben. Er ließ die Schultern hängen. Alle Freude schien aus ihm herausgesaugt worden zu sein. »Lady Jessica, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin. Ihr Kommen ist von unabdingbarer Wichtigkeit.« Als er ihr die Hand entgegenstreckte, fiel ihr der Juwelenring des Hauses Vernius an seiner Rechten auf. Rhombur hatte genauso einen getragen.
»Ach Bronso! Es ist so lange her.« Die Worte strömten aus ihr heraus. »Ich habe gerade deine Mutter auf Wallach IX gesehen. Sie lebt und ist aus dem Koma erwacht.«
Die Miene des jungen Mannes hellte sich auf. »So viel weiß ich bereits, da sie im Laufe der Jahre immer wieder kurze Botschaften zu mir durchgeschmuggelt hat und ich zu ihr. Wenn ich militärische Stärke oder politischen Einfluss hätte, würde ich ihre Freilassung fordern.« Er zuckte knapp mit den knochigen Schultern. »Aber was könnte ich hier schon für sie tun? Kümmern die Schwestern sich gut um sie?« Er bedeutete Jessica, ihm zu folgen. »Erzählen Sie mir von ihr. Was für einen Eindruck macht sie?«
Jessica sprach schnell, während er sie einen Korridor entlangführte, in dem die Tische und Statuen verstaubt aussahen. Die Ausstattung war nach wie vor von enormem Wert, doch sie wirkte vernachlässigt. Bronso hielt an einem Durchgang inne, der zu einem Innenraum ohne Fenster führte. Als Jessica ihren Bericht über Tessia beendete, wurde ihr klar, dass er sie hatte ablenken wollen, und jetzt wunderte sie sich darüber, dass er sie in einen Sicherheitsbereich brachte statt in eins der eindrucksvolleren Balkongemächer.
Bronso, der ganz klar nervös war, öffnete die Tür. »Drinnen können wir ausführlicher reden.« Jessica zögerte kurz, bevor sie eintrat. Sie erahnte etwas Ungewöhnliches, doch sie konnte nicht sagen, was es war. Das Zimmer wirkte hell und steril.
Bronso verschloss die Tür hinter ihnen und aktivierte verschiedene Sicherheitssysteme, worauf er sich sichtlich entspannte. Dann bedeutete er ihr, an der in die Wand eingelassenen Kaminattrappe Platz zu nehmen und sagte: »Das Haus Vernius ist nicht mehr das, was es einmal war. Unsere Fabriken brummen, und die Kunden strömen aus allen Ecken der Galaxis herbei. Überall um mich herum ist Ix eine effiziente, geschäftige Maschine, die gewaltige Profite erwirtschaftet. Und doch sitze ich hier drinnen als einsamer, vergessener Mann. Bolig Avati und der Rat der Technokraten sehen auf Ix keinen Bedarf für eine Herrscherfamilie. Stattdessen haben sie das Modell einer unabhängigen Konföderation vorgeschlagen.«
»Es tut mir sehr leid, das zu hören.« Sie war sich nicht sicher, was er von ihr wollte oder wie sie ihm helfen konnte. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um deine Lage zu verbessern. Aber in deiner Nachricht hieß es, dass du ... über Paul reden willst?«
Sie konnte ihm nicht die niederschmetternde Entscheidung mitteilen, die sie getroffen hatte.
»Dieses Gesuch stammte nicht von mir, Mylady.«
Zu ihrer Rechten ging eine Tür auf, und Paul trat in den Raum. Er trug die offizielle schwarze Uniform des Hauses Atreides mit dem roten Falkenwappen anstelle der Wüstenkleidung, die er selbst dann, wenn er sich nicht auf Arrakis befand, oft anhatte. Dazu legte er eine kühle Haltung an den Tag, die sie sehr an Herzog Leto erinnerte.
»Ich bin derjenige, der dich gebeten hat, herzukommen, Mutter.«